Über das Ich

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So beschrieb Peter Handke uns in seiner Publikumsbeschimpfung Mitte der 60er Jahre. Heute würden wir andere Begriffe wählen, wie: Du Computerschläfer, du Handy-Duddler, du Spielfilmkonsument, du Pornokucker, du Fitnessfetischist, du Jogger, du, der du aus 2.Hand lebst, du, für den die sinnliche Erfahrung auf das Bestellformular von Amazon beschränkt ist, du Fernreisender, du Rentenerwarter.

Haben wir uns denn wirklich so verändert? Oder sind wir die immer Gleichen in immer derselben Antwort auf die Welt?

Wer bin ich wirklich? Die Frage, die die meisten Menschen beantwortet haben wollen, wenn sie einen Therapeuten aufsuchen. Wer bin ich wirklich? Was steckt hinter meinem Verhalten? Welches Ungeheuer lauert im Verborgenen meiner „Seele“? Der Versuch der Beantwortung dieser Frage führt uns jedoch nur in das unlösbare Labyrinth unserer Psyche. Wir sind auch liebevoll, zärtlich, zugewandt, fleißig, sozial, Engel, bedeutsam, helfend. Die Frage bleibt: Wer bin ich wirklich? Wenn ich all das bin, wo soll mein Zentrum sein? Das Aufzählen all dieser Urteil (Fähigkeiten) führt uns also nicht in die Klarheit sondern steigert den Grad unserer Verwirrung.

Wir sollten uns stattdessen lieber fragen: Wie tue ich? Wenn ich jetzt also zärtlich tue, tue ich jetzt nicht brutal. Wenn ich mich jetzt hinwende, wende ich mich jetzt nicht ab. Also kann ich nur die Frage stellen: Wie tue ich jetzt? Und ich tue immer so, wie ich gerade jetzt im Moment tue. Wenn ich jetzt böse tue, kann ich also nicht sagen, ich bin eigentlich ein Lieber, denn ich kann nur so tun, wie ich jetzt tue und nicht anders.

Um das zu erfahren, muss ich bereit sein, mir verantwortlich mein Tun im Jetzt anzuschauen und nicht im Eigentlichen und im Anders zu sein. All das gehört eher in den Bereich der Phantasie und der Illusion und hilft mir nicht, die Fragen an m-ich zu beantworten. Erst im Nachhinein „die Verantwortung“ zu übernehmen oder „ich stehe dazu“ gaukelt mir auch nur vor, dass ich anders hätte handeln können. Um die Frage also zu beantworten gilt: Ich bin immer der, wie ich jetzt tue. Ich bin also ein Wesen, das mit Hilfe seiner Fähigkeiten all das, was oben beschrieben ist, ins Leben ruft. Bin ich bereit, so zu verstehen, höre ich auf zu urteilen, höre auf, mich damit zu beschäftigen, wie es hätte sein können und auch, wie es sein sollte.

Stattdessen stelle ich mir die Frage: Wie will ich sein, wie will ich werden? Ich stelle mich verantwortlich in die Beziehung zur Welt und lebe gleichzeitig verantwortlich mein „Wie“

Tröstlich? Nein: Ich bin also kein „Was“, nicht austauschbar, nicht festgeschrieben, keine Statik, die man von Grund auf behaupten muss im immer ewig Gleichen. Ich muss nicht immer die Repeat-Taste drücken, um ein möglichst statisches ich zu kreieren. Ich kann nicht durch noch so viele äußere Kriterien mich ändern, ganz im Gegenteil, der Zwang zur Individualität entfernt mich immer mehr von meiner möglichen Vielfältigkeit und verlangt von mir völlig bizarr eine lange Kette von Wiederholungen.

Stattdessen tue ich vielfältig, jetzt so, gleich anders, so wie jetzt. Ich lasse meine Fähigkeiten in all meiner Vielfältigkeit leben. Das ist all die Veränderung, die ich brauche. Ich beginne zu lernen und füge mich hinzu. Das zu sehen und zu erleben beantwortet die Frage. Ich bin also nicht der „Wer bin ich“ sondern ich bin der „Wie bin ich“ oder genauer „Wie tue ich – jetzt“.

Du bist das einzig Sichere auf dieser Welt

 von Claas Bahr

Claas Bahr

Claas Bahr

Kennst Du diese Situation? Du hast ein Vorstellungsgespräch. Du stehst vor der verschlossenen Tür. Dahinter sitzen die Menschen, die entscheiden, ob Du gut genug bist für diesen Job. Du bist überzeugt, dass sie sicher sind. Du bist unsicher. Weißt nicht, wie Du Dich verhalten sollst. Du rückst die Krawatte oder den Rock gerade und versuchst, ein freundliches, selbstsicheres Lächeln in Deinem Gesicht zu erzwingen. Du willst zeigen: Seht her. Ich bin sicher. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Das ist das Äußere.

Das Innere sieht ganz anders aus: „Das Herz schlägt Dir bis zum Hals. Dein Rücken ist warm. Du bekommst den Tunnelblick. Der Wunsch, lass mich heile aus dieser Situation herauskommen, wird immer größer“, weiß Claas Bahr. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet der Psychologe als Ausbilder in humanistischer Therapie für Mediziner, Psychologen und Pädagogen.
Jeder von uns hat diese oder eine ähnliche Situationen schon erlebt. Aber: Gerade dieses Konstrukt, das Postulat der Unsicherheit, wird durch dieses Denken manifestiert: „Nimm Deine Sicherheit wieder in deine eigenen Hände“, schlägt Claas Bahr vor. Denn: Ohne dass ich viel über mich wissen muss, so weiß ich, dass es mich gibt. Ich kann fühlen, schmecken, riechen, sehen und hören. Ich kann mich begreifen. Ich weiß, dass es mich gibt. Das Einzige, worauf ich mich verlassen kann: Bin ich. Ich in meinem erwachsenen Sein. Ich mit meinen Fähigkeiten. Ich mit meiner Lebendigkeit. Ich bin kein Mängelwesen. Ich bin die einzige Instanz auf dieser Welt, der ich vertrauen kann, auf die ich mich verlassen kann.
Dabei ist Sicherheit eines der großen Schlagworte unserer Zeit: Versicherungen, Altersvorsorge – vermeintlich für jede Situation gerüstet zu sein. Das alles hilft uns aber nicht im Leben – wie bei einem Vorstellungsgespräch. Ein Beispiel: Sicherheitsgurte heißen im Fachjargon Rückhaltesysteme. Damit ist im Grunde schon alles gesagt: „Halte dich zurück, dann bist du sicher! Mach keine Fehler! Empfinde nicht die Statik, sondern gaukle dir Bewegung vor. Dabei ist Sicherheit wie eine Wand aus Glas: Sie lässt Glücklich sein, Leben und Freude draußen“, erklärt Claas Bahr.
Wir werden mit Sicherheitskonzepten umgeben. Doch jedes weitere verstärkt unser Falschsein: „Wir erleben uns als Mängelwesen“, so Bahr weiter. Denn: Hinter jeder Bewerbungsmappe steht die Frage: Bin ich richtig so? Ist das falsch, was ich schreibe? So entscheiden nach und nach die anderen über mein Richtigsein. Das Gefühl des eigenen Falschseins und die damit verbundene Unsicherheit ergreift immer mehr Besitz von uns. Wir denken: Ich bin unsicher. Die Umwelt ist die Sicherheit. Ich habe nur dann eine Chance, wenn ich meine Individualität aufgebe und mich den vermeintlich richtigen fremden Strukturen mehr und mehr anpasse. So ist unser Ziel Fehlerlosigkeit und das, was Gesellschaft von uns erwartet. „Aber wie will ich lernen zu leben, wenn ich unter diesem Ziel stehe?“, fragt Claas Bahr ganz provokant. Gehen wir, um diese Frage zu beantworten, zurück zu der verschlossenen Tür: Ich bin die Sicherheit. Ich trete in die Unsicherheit der Welt und nehme mich als Sicherheit mit. Claas Bahr empfiehlt: „Lerne dieses Mantra. Vertraue Dir und lerne: Ich kann mich auf mich verlassen.“ Öffne die Tür und lebe.

 

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